Max Ehams kompositorisches Leitmotiv
Die erneuerte Liturgie zum Klingen bringen
Erinnerungen des Weggefährten Prof. Dr. Rupert Berger
Jahreswende 1950 auf 1951: Max Eham war Domkapellmeister in Freising und zugleich für uns Alumnen im Priesterseminar Lehrer im Choralgesang; auch begegnete ich ihm ständig als Mitglied im Domchor. An ein kommendes Konzil dachte man damals nicht einmal im Traum. Die Konfessionen waren sich damals noch ziemlich fremd; beim Orgelunterricht galt noch die Regel: Kein Bach in katholischen Kirchen. Eham war von Anfang an offener, J.S. Bach erklang auf der Freisinger Domorgel regelmäßig. Am Sonntag bemühten wir Seminaristen uns, Introitus, Alleluja, Offertorium und Communio aus den Choralbüchern zu Gehör zu bringen, Ordinarium und eventuelle Motetten waren in der Regel Aufgabe des Domchors, der an den Feiertagen festliche Messen mit Orchester zum Vortrag brachte; das Volk hörte schweigend zu. Lebhafter waren die Maiandachten, zu denen jeden Tag die Freisinger Bevölkerung in den Dom strömte; hier gab es deutschen Gesang sowie Marienlieder verschiedener Chorvereinigungen. Man war mit den Domgottesdiensten und ihrer Musik hoch zufrieden.
Doch begannen bereits in diesen vorkonziliaren Jahren kirchenamtliche Bemühungen um die rechte Verwendung der künstlerischen Musik in der Liturgie. An Weihnachten 1955 erschien die römische Enzyklika „Musicae sacrae disciplina“, die die Vorrangstellung des Gregorianischen Chorals für die lateinische Kirche betonte, aber auch die kirchliche Polyphonie als wichtigen Beitrag zur Pracht des Gottesdienstes und zur Weckung der Andacht bei den Christgläubigen mit Wohlwollen begrüßte und entgegen bisheriger römischer Praxis auch die Verwendung von Streich- und anderen Instrumenten genehmigte. Gesänge in der Volkssprache allerdings waren beim „feierlich gesungenen Hochamt“ nicht gestattet, sollten aber bei der „nicht feierlichen Messe“ den Christgläubigen helfen, die heilige Handlung mit Herz und Mund zu begleiten; als ihr eigentlicher Ort aber wurden Prozessionen und Wallfahrten sowie religiöse Tagungen genannt. (Dokumente zur Kirchenmusik, hg. v. H.B. Meyer und R. Pacik, Regensburg 1981, S. 57-79.) Die zugehörige Instructio der Ritenkongregation vom 3.9.1958 (ebd. S. 80-124) verbot sodann (in nr. 13b), beim Amt wörtliche Übersetzungen der liturgischen Texte zu singen. Große Auswirkungen hatten die römischen Erlasse auf die Kirchenmusik im deutschen Raum im Allgemeinen nicht; doch wurde das sog. „Deutsche Amt“ auch in Freising immer selbstverständlicher.
Inzwischen war ich als Dozent für Liturgik nach Freising zurückgekehrt und war in Zusammenarbeit mit Eham für die Gottesdienste im Dom und in der Hauskapelle des Priesterseminars verantwortlich. Unser Bemühen galt zunächst der besseren Gestaltung der lateinischen Gottesdienste. Beim sonntäglichen Hochamt verkündete der Diakon das Evangelium nach der gesungenen lateinischen Fassung, wenigstens gesprochen, auch auf Deutsch; die Propriumsgesänge wurden von einer geschulten Schola übernommen, für die Responsorien der Trauermetten schuf Eham eigene melodische Fassungen. Zum Korbiniansfest versuchten wir eine den neuen Gesichtspunkten nähere Gestaltung; Eham hatte das Proprium in festliche Chorsätze gesetzt, die Gemeinde konnte sich am Ordinarium beteiligen. Kardinal Wendel war hochbegeistert und bedankte sich persönlich.
Für diese erwünschte Beteiligung der Gemeinde, die letztlich nur in deutscher Sprache möglich war, schuf Eham textlich und melodisch leicht eingängige Rufe, mit denen die Gemeinde mit großer Freude in die Strophen des jeweiligen Chorliedes einfiel. Diese Art festlicher Chormusik, an der die ganze Gemeinde sich ohne Schwierigkeiten beteiligen kann, wurde zu einem durchgängigen Gestaltungsprinzip, eindrucksvoll vor allem bei der Lichtmessprozession mit dem Ruf „Sion, schmücke dein Brautgemach und empfang den König Christ“, zu dem Eham den Lobgesang des Zacharias komponierte; in vielen nur von Lichtmesskerzen erhellten Kirchen des Erzbistums schafft dieses Stück noch heute die ganz besondere Stimmung dieses Festes.
Auf ein ganzes Messproprium angewandt schuf der Domkapellmeister in dieser Art später die Dreifaltigkeitsmesse, die zunächst für Primizgottesdienste gedacht war, die ja in aller Regel unter freiem Himmel gefeiert werden; sie wird darum mit einem Bläserensemble begleitet und auch der Chorsatz ist der Situation eines im Freien singenden Laienchors angepasst. Diese Fähigkeit, sich der jeweiligen Situation und ihren Möglichkeiten einzufügen, zeigte sich auch beim Dompatrozinium an Mariä Geburt (8. September): infolge der Schulferien war keine musikalisch-festliche Messfeier üblicher Art möglich; um eine würdige Feier mit spürbarer freudiger Volksbeteiligung zu ermöglichen, verfasste er für das beliebte Lied „Wunderschön prächtige“ einen eigenen Text, angepasst an Introitus, Offertorium und Communio des Festes.
Die Gestaltung des Propriums durch Chor und Beteiligung des Volkes mit Kehrversen hat sich inzwischen weiter verbreitet. Intensiv wurde sie praktiziert bei der Einführung der erneuerten Messliturgie im Frühjahr 1975, als Kardinal Döpfner in den zentralen Kirchen des Erzbistums die Priester zu Einführungstagen versammelte und den Tag jeweils beschloss mit einer Messfeier in der erneuerten Form für die Gemeinden.
Wirklichen Freiraum für hochfestliche liturgische Musik boten die großen Vespern im Freisinger Dom anlässlich des alljährlichen Korbiniansfestes und des Festes der Apostelfürsten Petrus und Paulus, an dem regelmäßig die Priesterweihe durch den Erzbischof erteilt wurde. Sie waren ursprünglich einfache Choralvespern in Latein, die Psalmen mit herkömmlichen Männerchor-Falsibordoni durchflochten. Eham schuf dafür festlichste Musik, bald genug in deutscher Sprache. Ein großer Chor aus dem Freisinger Knabenseminar und dem Traunsteiner Studienseminar verstärkte die herkömmlichen Domsänger, ermöglichte bis zu 8-stimmige Sätze. Bläser steigerten den festlichen Klang, gedruckte Hefte für die Hand aller Teilnehmer ermöglichten der ganzen Gemeinde, sich am Gesang der Psalmen zu beteiligen. Der Dom war regelmäßig eine halbe Stunde vor der Vesper schon gefüllt, und so konnte man mit der versammelten Gemeinde den damals noch kaum üblichen Gesang der Psalmen einüben. Der ganze Kirchenraum erschallte, wenn zur Wiederholung der Magnificat-Antiphon das Volk mit den Bläsern in das „Großer Gott“ einfiel – Dankgesang, der hörbar zum Himmel emporstieg.
So gelang, was man vielerorts ersehnte, aber nicht schaffte: erneuerte Liturgie mit festlicher Kirchenmusik. Weite Teile der Kirchenmusiker waren der Meinung, die Erneuerung der Liturgie im Gefolge der Liturgiekonstitution des II. Vaticanums habe den Tod der Kirchenmusik zur Folge. Kirchenmusik war für die meisten an Latein gebunden, deutsche Texte waren vor allem in der Messfeier für Chormusik kaum vertraut. Der Gedanke, das Benedictus als ein Teilstück des Sanctus zu sehen, war mehr oder minder fremd; Kirchenchöre sahen in dieser Forderung den Tod der Wiener Klassik. Bereits am 24. Januar 1964, keine zwei Monate nach Veröffewntlichung der Konstitution, versammelte deswegen der Münchner Erzbischof Julius Kardinal Döpfner die Münchner Kirchenmusiker, Chorleiter und Organisten zu einem Treffen im Pfarrsaal von St. Ludwig, um mit ihnen den Standort der Musica Sacra im Gottesdienst nach den Veränderungen durch das Zweite Vatikanische Konzil zu besprechen. Die Münchner Kirchenzeitung sprach in ihrem Bericht darüber von einer „Krisenstunde“ der Kirchenmusik (s. Münchner Katholische Kirchenzeitung vom 2. Februar 1964; wieder abgedruckt am 26. Januar 2014, Nr. 4, S. 17). Der Kardinal betonte den entscheidenden Anteil der Kirchenmusik am Gelingen der erneuerten Liturgie, unterstrich den Kirchenchor als bedeutsamen Rollenträger der Liturgie und wichtigen Teil auch der feiernden Gemeinde.
Josef Andreas Jungmann, der Nestor der Liturgiewissenschaft, sprach auf der Internationalen Studienwoche 1965 in Freiburg von einer Neuorientierung, die aber keine Revolution sein dürfe: durch Jahrhunderte habe sich das Volk daran gewöhnt, die Messe nur anzuhören; deutschen Volksgesang in der gesungenen Messe gab es höchstens als Predigtlied und als Zusatz zu der seltenen Sequenz. Noch 1958 sicherte die Instructio „Musicae sacrae disciplina“ den lateinischen Gesang, von dem das Volk praktisch ausgeschlossen war: „Das musikalische Erbe der Vergangenheit, sowohl an gregorianischem wie an polyphonem Kirchengesang, war gesichert. Aber der Einklang von Liturgie und Kirchenmusik war nicht hergestellt.“ (J.A. Jungmann, Kirchenmusik und Liturgiereform, in: Kirchenmusik nach dem Konzil, 2. Aufl., Freiburg 1967, 11-19, Zitat S. 17).
Max Eham war hier, neben der Gruppe um den damaligen Seelsorgsreferenten Ernst Tewes, neben Heinrich Kahlefeld und dem Oratorium sowie Rudolf Thomas, der verbindende Mann, der vielen Kirchenmusikern den Zugang ermöglichte zu den großen neuen Möglichkeiten, die die konziliare Liturgiereform der Kirchenmusik auftat. Die großen Festvespern, zu denen die Teilnehmer von überallher zusammenströmten, öffneten vielen die Ohren für festliche Musik in deutscher Sprache; die auf dem Land selbstverständlich wirkenden Bläsergruppen entdeckten unter seiner Führung ihre echten Möglichkeiten bei den Festgottesdiensten in deutscher Sprache und mit vitaler Gemeindebeteiligung, die den Chor mit einschloss.
Gottesdienstmusik, bei der die Versammlung aus ganzem Herzen mitsingt, bei der der Chor zugleich tragendes Element bleibt – dafür stehen Werk und Wirken des Komponisten und Domkapellmeisters Max Eham.
Bearbeitete Fassung des Beitrages von Rupert Berger “Musik für den erneuerten Gottesdienst”, in: M. Eham – Fl. Mayr (Hg.), Ein Leben für die Kirchenmusik. Erinnerungen an und von Max Eham (1915-2008), München 2015, S. 50-54.
Dr. Rupert Berger, *1926 + 2020, Professor für Liturgiewissenschaft und Pastoraltheologie an den Hochschulen Freising und Benediktbeuern, Stadtpfarrer in Bad Tölz, Autor zahlreicher Publikationen zur Liturgiewissenschaft und Pastoralliturgie.